Jonglierbücher, Ziehten


[ Weitere Antworten ] [ Antwort erstellen ] [ Jonglieren.at: Kleinanzeigen ]

Verfasst von janosch rabiatov am 12. Juli 2010 um 05:48:15:

Als Antwort auf: Re: suche Bücher über die Geschichte des Jonglierens verfasst von Wolfgang Schebeczek am 16. Juni 2010 um 09:17:54:

...hatte das buch vom ziehten, und noch ein paar bücher aus dem ostblock, da ich das glück hatte, aus dem verkauf der bibliothek der botschaft der DDR. da ich einige zirkus-veteranen kennengelernt habe, die mir aus ihren persönlichen erlebnissen erzählt haben, kann ich nur dazu anmerken, der ziehten war ein flotter, aber unbesorgter schreiberling, vieles is nicht grade erfunden, aber einfach journalistisches geschreibsel ohne recherche.

was aber für die arbeit egal it, die liest ja eh nur wer auf formale korrektheit, was drin steht ist ziemlich wurst...

die bücher hab ich nicht mehr, hergeborgt und nimmer retour gekriegt.

kann zum thema ein interview mit felix adanos anbieten, dass ich einmal aus einem deutschen hefterl zu einer ausstellung abgeschrieben habe. das ist autorisiert vom adanos.

da ich nicht weiss, wohin ichs schicken soll, kopier ich den text hier her:

Interview mit
Felix Adanos
Wien 1986

1911 gings nach Berlin. Da wurde mein Vater ans Lessing-Theater geholt. Wir blieben in Berlin, weil sich dort die Filmindustrie etabliert hatte. Mein Vater ging zum Film und wurde Regisseur. So bin ich da aufgewachsen. Ich bin so eine merkwürdige Mischung: meine Mutter war Opernsängerin, stammte aber andererseits aus einer altösterreichischen Adelsfamilie. In Berlin habe ich meine ersten tiefen Eindrücke in der Artistik und der Kunst erfahren. Ich bin sehr mit Musik aufgewachsen. Man ließ mich Geige lernen, aber da fing ich an zu jonglieren, und es haben sich alle Kräfte so konzentriert, da konnte ich nicht auch noch Geige üben. Das ging nicht. Das habe ich dann sein gelassen.
Nach Neukölln kam ich durch Empfehlung, weil es hieß, dort ist die Artistenwelt von Berlin. Dort kannst du reinkommen, probieren, Leute kennenlernen und so weiter, trainieren und hineinriechen.

Wo haben Sie in Neukölln trainiert?

Der Verein Union Victoria hatte eine Turnhalle, worin die verschiedensten Mitglieder, Artistengruppen, trainiert haben. Diese Halle war eine Turnhalle im Garten der Kindl-Brauerei. Und dann war aber auch eine Gartenbühne da, auf der fanden dann immer diese Abschlußfeste statt. Und da hat man mir gesagt: Da gehst du mal hin, da kannst du ungestört trainieren, da kannst du Artist werden. Und so bin ich da eingetreten und von Charlottenburg morgens hingefahren, so um neun Uhr oder sowas, hab mir Stullen mitgenommen und bin bis fünf Uhr nachmittags dort geblieben, und bin dann kaputt und schweissgebadet wieder nach Hause gefahren. Das habe ich einen ganzen Sommer lang- ich glaube, daß muss 1922 gewesen sein, durchgeführt, und am Ende des Sommers hatte ich eine kleine Nummer, immerhin doch schon eine Jonglierdarbietung, zusammen.
Von diesem Verein wurden immer Abschlußvergnügungen gemacht, wo dann oft zwanzig bis dreißig Nummern auf der Gartenbühne auftraten. Und da bin ich dann auch eingeteilt worden und bin über die Bretter getaumelt. Daraus hat sich dann etwas entwickelt. Ich hab dann mal so ein Kintopp-Engagement gekriegt in Berlin und dann wieder eins und dann mehr und so hat sich das weiterentwickelt.

Können Sie die Atmosphere beschreiben, in der man im Berlin der Zwanzigerjahre Artist wurde ?

Jeden Monat bin ich ein paarmal in den Wintergarten gegangen in Berlin oder auch in die Scala und hab mir alle Jongleure angesehen und die Begeisterung war groß. Heute könnt ich das nicht mehr. Damals war die Begeisterung und daher auch die Kritiklosigkeit so groß, daß man eben doch durchgedrungen ist. Wissen sie, zu jonglieren, ein guter Jongleur zu sein, ist eine sehr schwere Sache. Man muß sehr viel trainieren und dann war es auch so früher-heute machen alle Jongleure dasselbe, sie jonglieren nur mit Keulen und eventuell Ringen, es ist mehr mechanisch-, während es früher der Wunsch, die Mode war, daß ein Artist irgendeine Note hat und in seine Sache hineinbringt. Man hat versucht, die Nummer irgendwie einzukleiden. Es war ein ganz kleiner Funke Künstlerisches dabei, wo ich hingegen das heute leider vermisse. Ich finde, die Jongleure heute sind großartig, manuell, aber sie sind in meinen Augen Turner, Leistungssportler, aber nicht Bühnenmenschen.
Es waren sehr bekannte Artisten, die in dieser Halle bei der Kindl-Brauerei trainiert haben, und zwar Akrobatentruppen. Es waren eben nicht nur Amateurartisten. Es waren eben sehr viele gute, bekannte Truppen, professionelle Akrobatentruppen. Da war zum Beispiel die Ethor-Truppe, das war eine Ikarier-Truppe, die mit den Füßen jonglieren, junge Menschen mit den Füßen werfen. Und da gab es sehr viel Flucherei, Ohrfeigen, wie es so früher war. Die Truppenchefs waren nicht die sanftesten, und es gab Heulerei von Seiten der Lehrlinge. Und unter diesem Getriebe stand ich in irgendeiner Ecke und hab da immer wieder geprobt und aufgehoben und geochst, geochst. Und von dem vielen Bücken ist auch mein Kreuz kaputt.

Was ist ein „Gentlemen-Jongleur“, wie sie immer genannt wurden ?

Ja, einige meiner Vorbilder waren „Gentlemen-Jongleure“, und in dieser Art bin ich halt eingestiegen. Man hat versucht, mit Gebrauchsgegenständen etwas zusammenzustellen. Ich war spezialisiert auf Billardqueues, also Billardstäbe, Bälle, Zylinderhut, Zigarre, Spazierstock; daher meine Hinwendung zu Fred Astaire, der mich immer sehr fasziniert hat. Natürlich kann ich sowas nie erreichen, aber die Art...

Wen würden Sie denn als ihre Vorbilder bezeichnen ?

Kara und Salerno, die bekannten Jongleure. Kara war der Erfinder des „Gentlemen-Jongleur“-Typs, und Salerno war x-mal in Berlin im Wintergarten. Den habe ich dann gesehen und mit den Augen gestohlen, wie man so sagt. Also, ich habe halt versucht, das nachzumachen und etwas eigenes hineinzubringen. Salerno war kein Berliner, aber er wohnte in Berlin. Er wohnte irgendwo im Norden. Er hat auch Erfindungen gemacht. Er war einer der erste Fliegerpatent-Inhaber. Jedenfalls, es gab mehrere Jongleure dieses Typs, aber sie waren alle ein bißchen verschieden voneinander. Wissen Sie, man hatte nicht diese rasante Art von heute, sondern die gelassene und ruhige, zarte, schöne Musik. Man hatte gern französische Walzer. Bei uns war das alles mehr eingekleidet in eine, na sagen wir, eine pantomimische Szene.

Können Sie ein wenig Ihre Nummer beschreiben ?

Ich habe viel gemacht, zum Beispiel den Zylinder auf die Spazierstock-Krücke gehängt, die Zigarre, eine Holzzigarre natürlich, auf die Krempe gelegt, beides hochgeworfen, beides fliegt, dreht sich, die Zigarre wird im Mund gefangen und der Zylinder auf der Zigarre in die Balance gebracht.
Eine Nummer hat nur der Salerno gemacht. Dann hab ich’s, glaub ich nur nachgemacht. Zwei Billardqueues aufeinander balanciert, aber die rasten ineinander ein. Man kann nicht zwei Gegenstände aufeinander balancieren. In der Mitte drückt sich das auseinander. Na, jedenfalls wars so: zwei Billardstäbe hoch, und oben war eine Stahlmanschette, auf dem obersten Billardqueue; und da hab ich mit einer Federpistole, die habe ich mir konstruieren lassen, eine Billardkugel hochgeschossen, und da oben auf den balancierten Stäben gefangen. Schwere Sache. Die Kugel ist mir ein paar Mal auf den Kopf gefallen, und dann hab ich ein Jahr lang eine Beule gehabt. Die Kugel musste schwer sein, weil eine leichtere nicht liegenlieb.
Zu Anfang bin ich wohl auch in Neukölln aufgetreten, in irgendeinem Kino wahrscheinlich. Doch, im Kino, mehrmals sogar. Aber ich weiss nicht mehr, wie die hießen. Das waren Kinos mit Bühnenschau. Also, ich war dann 1933 im Wintergarten und in der Scala 1936 engagiert. In der Scala war ich sogar mit dem Grock zusammen im Programm. Ich mein’ ,das waren ja internationale Häuser. Da war man schon arriviert und mußte was können. Viel sogar, um da reinzukommen. Da war man über die Neuköllner Atmosphäre rausgewachsen.

Ich habe hier eine Programmankündigung von Ihnen. Das wird wohl so in den zwanziger Jahren gewesen sein.

Genau, sehr alt, ja richtig, mein Gott. Die Zeichnung hat irgendein Kollege gemacht. Zwanziger Jahre, ja, das sehen sie schon an dem Smoking. Das war mein erster. Diesen Smoking hart meine Tante spendiert, als Einstand in die Bühne.

Hat man sich den in denn als Artist Ende der zwanziger Jahre duchschlagen können ?

Ja,ja, später habe ich mich dann ja gut durchschlagen können. Ich war recht international bekannt geworden. Wir waren viel in England, vor dem Krieg, wo es dort eine große Varieté-Gemeide gegeben hat. Und dann war ich sehr viel in Skandinavien. Nach dem Krieg waren wir dann in Amerika.

Es gibt den Ausspruch von Artisten, sie seien wie eine große Familie. Sehen Sie das auch so ?

Ja, das ist es. Es ist auch unter Artisten wenig Neid wie zum Beispiel am Theater. Das gibt es da kaum. Und es ist doch so ein Zusammenhalt. Ja, und die Jongleure halten besonders zusammen. Wahrscheinlich weil es so schwer ist. Man kann wie bei den Zauberkünstlern, die wahnsinnig eifersüchtig sind, dem anderen kaum etwas stehlen. Man muß es nachmachen können. Beim Zaubern ist das etwas anderes. Vielleicht hängt es aber auch damit zusammen, daß es eine mehr oder weniger ehrliche Sache ist. Das prägt auch seine Leute. Neukölln, Neukölln, ich habe nur immer, mit einem gewissen respektvollen Schaudern, die Backpfeifen bei anderen erlebt. Ich selbst habe ja keine einstecken müssen. Ich habe ja keinen Lehrmeister gehabt.

( Das Interview führten Udo Gößwald und Hans-Werner Schmidt am 2. August 1986 in Wien, abgedruckt in ‚Artisten und ihre Vereine in Neukölln’ {Berlin}, Katalog zur Ausstellung ebendort 1986, Stadtamt Neukölln)

(Anmerkungen zum besseren Verständnis:
Felix Adanos zählte zu den renommierten Artisten-Persönlichkeiten, die in Neukölln ihre „Lehre“ absolviert haben. Als „Genlemen-Jongleur“ bereiste er die ganze Welt. 1905 in Ljubljana geboren, verbrachte er die ersten Kindheitsjahre in Wien. Mit seinen Eltern kam er dann nach Berlin. Daß Neukölln, ein Stadtteil an der Spree in Berlin, im Mittelpunkt des Interviews steht, liegt daran, daß der Text aus einer Stadtteils-Ausstellung stammt. J.S.)




Weitere Antworten:



Antwort erstellen

Name:
E-Mail:

Betreff:

Text:


[ Weitere Antworten ] [ Antwort erstellen ] [ Jonglieren.at: Kleinanzeigen ]