Jongleure gegen Schwarz-Blau
  jonglieren.at: Background: Jonglieren und Politik: Jongleure gegen Schwarz-Blau

  Wolfgang Schebeczek

  Sabina Kellner & Susi Regner: Fotos

  aus:
    Kaskade - Europäische Jonglierzeitschrift No. 58 (2/2000), pp 9-11

         
In der Herbstausgabe 99 des österreichischen Jongliermagazins "Tick" erzählt Roman Kellner das Märchen vom Jongleur IPO [1] (was nicht zufällig an "Innenpolitik" erinnert): IPO hatte eine Schachtel mit "fünf Bällen von unterschiedlicher Größe und Farbe. [...] Alle vier Jahre - das war so Brauch in dem Land - durfte das Publikum diese Schachtel schütteln." Beim letzten Schütteln haben sich die Größenverhältnisse der Bälle nun stark verändert. Für Aufregung sorgte vor allem die "Größe des blauen Balles. Denn er neigte zu Drops, und dabei hatte sich oft gezeigt, dass sein Inneres nicht aus sauberen Hirsekörnern bestand." Nach langem Überlegen entschließt sich IPO trotzdem, wieder die alte Nummer mit dem roten und dem schwarzen Ball zu zeigen. Der Erzähler fügt aber warnend und prophetisch hinzu: "Natürlich hätte dieses Märchen auch sehr grausam ausgehen können." Mit Rücksicht auf die Kinder wurde für das sanfte Ende entschieden.

Die Wirklichkeit hat sich nicht an die Vorgaben der Märchenethik gehalten und sich für den grausamen Ausgang entschieden. Und IPO ist nicht der einzige Jongleur in Österreich, der sich mit einer neuen Situation konfrontiert sieht. Bei unseren Jongliertreffen war früher Politik - wie wahrscheinlich anderswo auch - selten ein Diskussionsthema. Die Dinge haben sich über Nacht geändert. Wenn nun bei den Treffen die aktuellen Jonglier-Schnappschüsse herumgereicht werden, sind auch Fotos von Demonstrationen dabei...

Die Fakten werden den meisten LeserInnen bekannt sein: Die Nationalratswahlen im letzten Herbst haben zu einem deutlichen Rechtsruck in Österreich geführt. Die FPÖ, eine Partei am rechten Rand des hiesigen Parteienspektrums, die Ausländerfeindlichkeit zu einem wesentlichen Teil ihres politischen Programms gemacht hat, und deren Galionsfigur Jörg Haider für eine Reihe von Pro-Naziäußerungen bekannt ist, hat 27% der Wählerstimmen bekommen. Von der konservativen Volkspartei (ÖVP) wurde sie Anfang dieses Jahres in die Regierung gehievt. Internationale Sanktionen auf staatlicher Ebene, aber auch unzählige Protestdemonstrationen von empörten Menschen in vielen Ländern waren die Antwort.

Das "andere" Österreich

 
Es gibt aber auch ein "anderes Österreich". In den ersten Wochen nach dem FPÖ-ÖVP-Pakt gab es keinen einzigen Tag, an dem nicht zwischen 1.000 und 15.000 Menschen auf die Straße gingen, um gegen die neue Regierung zu demonstrieren. Um ihnen nicht zu begegnen, mussten die Regierungsmitglieder unterirdische Gänge benützen, um zu ihrer eigenen Angelobungsfeier zu gelangen. Trotz Verbots durch die Schulbehörde haben Schüler in Wien gestreikt. Viele namhafte Schriftsteller, bildende Künstler, Musiker, Schauspieler und Journalisten unterstützen aktiv den Widerstand gegen die Rechtswende, die ganze Kulturszene, von Popgruppen bis zu Festspieldirektoren, ist vertreten. Eine etablierte Zirkus- oder Varietészene gibt es hier kaum; Wien ist aber eine Hochburg des literarischen Kabaretts. Alle bekannten Vertreter dieses Genres engagieren sich gemeinsam in der Protestbewegung. Natürlich wird der Widerstand auch von verschiedenen politischen Gruppierungen mitgetragen und in den Gewerkschaften beginnt - wenn auch zögerlich - ein Umdenken.

Jongleure gegen Schwarz-Blau

Erster Kulminationspunkt der Protestbewegung war ein Sternmarsch am 19. Februar in Wien. Ungefähr 250.000-300.000 Menschen nahmen teil, unter ihnen auch 35 - 40 JongleurInnen, die sich um ein eigenes Transparent scharten. Sechs hatten ihre Stelzen mitgebracht, einer seine Giraffe. Kreativität, vor allem bei mitgetragenen Transparenten und Plakaten war überhaupt angesagt. Dass sich die Bewegung bei aller politischer Bestimmtheit Humor und Fantasie nicht verderben lässt, ist auch für die Aktivitäten nach dem 19. Februar charakteristisch. Eine der nun jeden Donnerstag in Wien stattfindenden Demonstrationen (Motto: "Wir gehen solange, bis die Regierung geht") wurde zum Gegenkarneval gegen den gleichzeitig stattfindenden Opernball, das "staatsoffizielle" Ballereignis hierzulande, ausgerufen. Die "Jongleure gegen Schwarz-Blau" (schwarz bzw. blau sind die Symbolfarben von VP bzw. FP) waren wieder dabei; Ballonmodellierexpertin Sabina hatte wunderschöne Krokodilköpfe zum Aufsetzen gedreht, damit man der Regierung - zumindest symbolisch - die Zähne zeigen kann. Zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses [2] wurde auf der Universität Wien ein Hochschulstreik ausgerufen.

Krokodile

Jonglieren und Politik

 
Die österreichischen JongleurInnen sind als solche derzeit sicher nicht direkt von dem politischen Machtwechsel betroffen. Wenn dieses bunte Volk auch nicht in das Musikantenstadl-Kulturkonzept der FP passt, sind Haider & Co. schlau genug, nicht alles sofort frontal zu attackieren. Aber es gibt genug Zeichen, dass sich das auch rasch ändern kann. Die jetzige Staatssekretärin Mares Rossmann (FP) hat sich vor ca. einem halben Jahr als Grazer Stadträtin dafür stark gemacht, Auftritte von Straßenkünstlern durch Einführung einer entsprechenden Kommission zu kontrollieren und reglementieren. Alle Kulturbereiche ans Gängelband zu nehmen und Missliebiges auszumerzen, ist deutlich sichtbares Ziel der FPÖ. Wer gegen die Regierung Kritik vorbringt, steht schon jetzt auf der Abschussliste. André Heller zum Beispiel, bekannt unter anderem auch durch seine Zirkus- und Varietéproduktionen. Die Drohung Haiders, man solle "die Hand nicht beißen, die einen füttert", war zwar gegen die Medien gerichtet, aber sie kann sich in Zukunft durchaus auch gegen ein subventionsabhängiges Jonglierfestival richten.

Aber wie gesagt, es ist nicht eine aktuelle Bedrohung der JongleurInnen, die zu dem Zusammenschluss geführt hat. Gegenwärtig springt in allen gesellschaftlichen Schichten und Gruppierungen einfach der Funke über und schweißt Menschen dort zusammen, wo sie arbeiten, leben oder einem Hobby nachgehen. Zuerst hat es nur einen Treffpunkt für JongleurInnen gegeben, die nicht allein zu den Kundgebungen gehen wollten. Dann ist die Idee mit den Stelzen aufgetaucht und am 19. Februar war auf einmal auch das von Doris professionell angefertigte Transparent da. Kurz darauf ist im Web das Diskussionsforum "Jongleure gegen Schwarz-Blau" eingerichtet worden. Keine große Grundsatzdebatte war all dem vorangegangen. Menschen, die auch sonst viel Zeit miteinander verbringen, Ideen teilen und Projekte gemeinsam durchführen, haben einfach auch in der Protestbewegung zusammengefunden. Und es ist natürlich nicht nur die neue Kulturpolitik, an der sich unser Widerstand entzündet hat. Sie ist ja insgesamt eher nur die "Nebenfront". Beinharter Liberalismus a la Thatcher, Sozialabbau, Zerschlagung der Gewerkschaften und ausländerfeindliche Politik sind bereits explizit angesagt worden.

Wir haben auch kein gemeinsames "Programm". Die Frage beispielsweise, welche Rolle die Politik bei künftigen Jonglierfestivals spielen soll, wird gegenwärtig sehr kontroversiell diskutiert. Man will einerseits nicht schweigen, andererseits sollen aber auch nicht die Festivalorganisatoren in Schwierigkeiten gebracht oder JongleurInnen, die anderer Meinung sind, ausgegrenzt werden. (Es beteiligen sich ja bei weitem nicht alle JongleurInnen aktiv an den Protestaktionen.) Wir wollen uns Spaß und Freude an unseren Festivals nicht verderben, müssen aber auch sehen, dass das Raushalten von Politik davor nicht schützt. So sind ein Teilnehmer und eine Teilnehmerin am letztjährigen Jonglierfestival in Klagenfurt am Campingplatz von FP-Anhängern massiv bedroht worden, nachdem sie deren "Sieg Heil"- und "Es lebe unser Jörgl"-Gebrüll nicht kommentarlos anhören wollten.

"Merci pour votre solidarité!"

 
war auf Transparenten am 19. Februar zu lesen. Internationale Solidarität ist uns wichtig, aus ihr können wir neue Kraft schöpfen. Ferner geht es ja gar nicht nur um Österreich, wie etwa die NPD-Demonstration Mitte März in Berlin gezeigt hat. In diesem Sinne "Merci!" für eure Mails und Postings in den Internet-Jonglierdiskussionsforen. Solidarische Aktionen wünschen wir uns auch weiterhin von der internationalen JongleurInnen-Gemeinschaft. Wenn ihr im Moment Österreich als Urlaubsland meiden wollt, kann ich das verstehen. Aber denkt auch daran, dass ein Boykott unserer Jonglierfestivals die Falschen trifft. Eure Diskussionsbeiträge sind im Webforum "Jongleure gegen Schwarz-Blau" [3] willkommen. Oder schickt sie an die Kaskade oder direkt an mich.

IPOs Probleme mit seiner Jongliernummer können morgen auch eure Probleme sein. Widerstand!



Anmerkungen der Redaktion jonglieren.at:

[1] Siehe: Roman Kellner: Die Wahl der Bälle. Ein Jongliermärchen

[2] Der Artikel wurde im März 2000 geschrieben.

[3] Das Webforum, ursprünglich bei http://come.to/jgsb, ist nicht mehr zugänglich.



Wolfgang Schebeczek (Wien) ist Redakteur der europäischen Jonglierzeitschrift Kaskade. Zur Information und Mobilisierung der internationalen Juggling Community hat er weitere Artikel zum Thema "Jongleure gegen Schwarz-Blau" u. a. in die Usenet-Newsgroup rec.juggling (s. z. B. JIS-Archiv 2000/02/22-220438) und die Maillist juggling@owl.de gestellt.
Sabina Kellner (Wien) ist Jongleurin und kann in unzähligen Variationen Figuren und Lebewesen aus Modellierballonen formen. Von ihr stammen nicht nur das Foto der Krokodilköpfe, sondern auch diese Köpfe selber.
Susi Regner (Wien) fällt auf Jonglier- und anderen Events vor allem mit ihrer Jonglage von mehreren Fotoapparaten auf.
Der Artikel wurde unter dem Titel "Jugglers Against the Black/Blue Coalition/Jongleure gegen Schwarz-Blau" in Kaskade No. 58 (2/2000) veröffentlicht.
Weitere Beiträge auf den Webseiten von jonglieren.at: siehe: Index: Schebeczek, Wolfgang, Index: Kellner, Sabina bzw. Index: Regner, Susi

Alle Rechte verbleiben bei Autor bzw. Fotografinnen. Veröffentlicht mit deren Einverständnis und mit freundlicher Genehmigung von Kaskade - Europäische Jonglierzeitschrift. April 2002.