Re: Artis-TICK, euforie der anfangsjahre, harsche worte


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Verfasst von Wolfgang Schebeczek am 13. Juli 2005 um 22:00:37:

Als Antwort auf: Re: Artis-TICK, euforie der anfangsjahre, harsche worte verfasst von janosch rabiatov am 10. Juli 2005 um 09:28:23:

Janosch schrieb:

: : : also hat sich die aufgabe des vereins fast erübrigt, und wird
: : : oftmals, so in graz, in krems und anderswo, von frischen, neuen
: : : vereinen und gruppen wahrgenommen.

Wozu man einen Verein (im juristischen Sinn) braucht(e), ist eine eigene Frage, der ich hier nicht nachgehen will. Aber diese ungebrochene Linie der Entwicklung, die du da skizzierst, entspricht nicht meiner Wahrnehmung. Was so allgemein die Jonglierszene in Österreich betrifft, sehe ich - wenn man von der feurigen Seitenlinie des Jonglierens absieht - eigentlich kaum frische und neue Initiativen, den Kremser & Grazer Verein eingeschlossen. Und was Artis-Tick betrifft, hat Reinhard durchaus Recht: "Die Euphorie der Anfangsjahre ist ziemlich verblasst." Das heißt nicht, dass sich nichts mehr tut in Österreich. Immerhin gibts nach wie vor die zwei Standardfestivals, das jährliche Jollyballturnier, etliche gut organisierte Jongliertreffen und ab und zu einen Tick. An weiteren Kommunikationsmöglichkeiten der JongleurInnen ist dank E-Mail & Web auch nichts auszusetzen. Und auf etwas individuellerer Ebene tut sich auch durchaus noch mehr. Aber eine gewisse Stagnation und ein teilweises Zurückgehen von Aktivitäten auf dem Jongliersektor in Österreich zu leugnen, ist meines Erachtens unsinnig. Ebenso, das Internet dafür verantwortlich zu machen.

Man muss die Lage aber auch nicht dramatisieren; insbesondere bedeutet sie nicht, dass man sich in der Jonglierszene derzeit nicht wohl fühlen kann. Sturm und Drang braucht man dafür nicht unbedingt. Aber egal, ob und wie negativ man diese Lage sieht, ist es meines Erachtens nicht zielführend, bei Artis-Tick oder irgendeinem anderen Verein den Mangel an Initiative einzuklagen, wie es Reinhard gemacht hat. Was Artis-Tick betrifft, hat Lisi in Nr. 26 klargestellt, dass der Verein nicht mehr als als ein juristischer/organisatorischer Rahmen ist, der von JongleurInnen genutzt oder eben nicht genutzt werden kann. Die Initiative darf also nicht vom Vereinsvorstand oder einer Kerntruppe erwartet werden, sondern muss irgendwo herkommen. Dass dann der "harte Kern" doch allenthalben was unternimmt, ist eine andere Sache. Aber wie gesagt, das ist nicht die Idee.

Vielleicht wurde aber trotz Lisis Artikel diese Kurskorrektur nach der Generalversammlung 2003 zu wenig klargestellt und ich denke auch, dass sie nicht immer hinreichend konsequent durchgehalten wird. In Artis-Tick hat es seit Beginn widerstrebende Prinzipien gegeben. Neben der beschriebenen "Plattform"-Idee war immer auch die Idee einer "Service-Organisation" lebendig; d. h. der Verein stellt nicht nur einen Rahmen zur Verfügung, sondern füllt ihn auch selber mit Inhalt. Was die restlichen Mitglieder betrifft, waren sie "für 100 Schilling dabei" (Tick-Diktion). In den Anfangszeiten ist der Widerspruch dieser beiden Konzepte nicht sehr in Erscheinung getreten, da die, die die organisatorischen Bedingungen geschaffen haben, auch diejenigen waren, die sie mit Inhalt füllen wollten und konnten. Dass bei allen Aktivitäten das Markenzeichen "Artis-Tick" plakativ im Vordergrund stand, hat mich jedoch immer schon mit einem gewissen Unbehagen erfüllt. Es hat zwar damals der Situation entsprochen, aber auch das Image dieser "selbsttätigen" Wunderorganisation gefestigt, an das Reinhard jetzt appelliert. Aber die gibt es nicht mehr; d. h. eigentlich hat es sie nie gegeben. Es waren immer einzelne oder Gruppen von JongleurInnen und nicht notwendig immer dieselben, die was in Bewegung brachten oder hielten.

Ein Image kriegt man aber nicht so leicht los, insbesondere, wenn es immer noch im Tick herumgeistert. (Das meine ich mit nicht konsequentem Durchhaltung der Kurskorrektur.) Das Editorial im letzten Heft trägt zwar den Titel "Mitmachen!", aber dann heißt es: "ARTIS-TICK bietet: [... Aufzählung diverser "Angebote", von denen ein nicht unwesentlicher Teil nicht zum organisatorisch/rechtlichen Rahmen gehört, sondern auf die Initiative von Mitgliedern angewiesen ist, und dementsprechend im Moment nur in bescheidenem Ausmaß realisiert wird...] Das alles für nur EUR 8,72 pro Jahr!" Ich verstehe, dass den immer noch Aktiven Reinhards Anfrage "kann artis-tick nicht wiedereinmal ein wenig mehr für meinen (unseren) mitgliedsbeitrag tun, als das TICK auszusenden?" weh tut, aber eigentlich ist sie aufgrund dessen, was in der Vereinszeitung steht, nur folgerichtig.

Tatsächlich ist das Angebot von Artis-Tick, für EUR 8,72 pro Jahr sich *selber* betätigen und fast alle diese Angebote, die das Editorial nennt, und andere mehr *selber* umsetzen zu können. Ein gewisser Teil der organisatorischen Drumherums kann einem dabei abgenommen werden. So und nicht anders sollte es aber - wenn ich Lisis Artikel richtig verstanden habe - dann auch im Tick stehen.

Freilich ist damit noch nicht die Frage beantwortet, die Reinhard implizit aufwirft und um die sich Janosch mit dem Hinweis auf die Internetgeneration herumdrückt: Warum gibt es die Euphorie der Anfangsjahre nicht mehr? Darüber lässt sich sicher endlos debattieren, aber ich denke, ein wesentliches Element ist, dass Artis-Tick nicht nur einfach ein Verein ist, sondern auch eine ziemlich plötzlich eruptiv auftauchende Bewegung war. Eine Bewegung einer im Kern sowohl altersmäßig (in etwa 20-25), sozial (viele sind aus Marios USI-Kurs gekommen, der Hochschulangehörigen vorbehalten ist) als auch weitgehend von den Zielvorstellungen her (starkes Interesse an Performing), ziemlich homogenen Gruppe, die irgendwohin aufbrechen wollte. Gegründet wurde der Verein von einer recht heterogenen Mischung von JongleurInnen, aber wirkliches Leben eingehaucht hat ihm diese "Bewegung". Erste Schritte, z. B. auf der Bühne, aber auch für einen durchaus riskanten beruflichen Wechsel in Richtung Artistik, tun sich leichter gemeinsam. Und das war es, denke ich, was dieser Bewegung vor allem den Zusammenhalt gegeben hat. Die damals Aktiven haben vielleicht auch den juristischen Verein gebraucht, aber eigentlich haben sie das Kollektiv gebraucht, um gemeinsam Neuland zu betreten.

Man muss zur Kenntnis nehmen, dass es diese Bewegung nicht mehr gibt. Ein Aufbruch ist was zeitlich Begrenztes und erste Schritte sind irgendeinmal gemacht. Dazu kommt, dass mit dem starken Interesse an Performing auch Zentrifugalkräfte frei gesetzt werden. Einerseits ist man auf dem Markt Konkurrent, und andererseits will man künstlerisch eigene Wege gehen. Wer (teil)beruflich jongliert, hat naturgemäß weniger Interesse, auch seine Freizeit damit zu verbringen. Einige sind von den Jongliertreffen in ihre eigenen Proberäume übersiedelt usw. Ein Teil des damals harten Kerns hat sich sogar ganz oder weitgehend vom Jonglieren wegentwickelt und ist in Richtung Äquilibristik, Clownerie, Tanz oder Theater unterwegs oder dort gelandet. Auch diejenigen, die nicht in Richtung artistischer (Teil)Beruf aufgebrochen sind, bleiben nicht ewig StudentIn (oder zumindest nicht ewig 20-25 ;-). Beruf, Familie, Kinder sind irgendeinmal ein Thema.

Was ich damit sagen will: Die, die die Bewegung "Artis-Tick" gebraucht und groß gemacht haben, brauchen sie nicht mehr. Gemessen daran und an den erwähnten Zentrifugalkräften, ist es eher positiv überraschend, dass immer noch viele gemeinsamen Bande da sind, und sich allenthalben eine kritische Masse von Hardcore-Artis-Tickern zusammenballt, um ein neues Projekt zu lancieren oder ein altes am Leben zu halten. Da sind dann durchaus auch neue Sternstunden möglich, wie WJW I/II. Und natürlich gibts auch nach wie vor die, die dankenswerterweise die tägliche Kleinarbeit machen, die gar nicht immer so klein ist. Aber ich bleibe dabei: Artis-Tick als *Bewegung* gibt es nicht mehr.

Es erhebt sich die Frage, warum nicht andere diese Bewegung weitergetragen haben. Schließlich stellt sich das Thema "erste Schritte" und Aufbruch für jede Generation. Eine definitive Antwort hierauf hab ich nicht. Aber die Geschichte der österreichischen Jonglierszene zeigt, dass solche "geballten Eruptionen" an Aktivität eher selten als häufig sind. Nach "Schwerkraft" und "Diabolo" war Artis-Tick der dritte Jonglierverein in Wien, aber das, was ich die Artis-Tick-Bewegung genannt habe, ist seit den Uranfängen der hiesigen Jonglierszene, Mitte der Achtzigerjahre bis heute in Wien ein Unikum geblieben.

Wie auch immer. Räsonieren, ob man ausreichend viel oder zumindest das Versprochene für seinen Mitgliedsbeitrag erhalten hat, ist legitim. Aber das, was Reinhard eigentlich wollte, lässt sich nicht kaufen oder erzwingen. Leider.

wolfgang




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