Hurra, ich kann's!
  jonglieren.at: Theorie & Praxis: Hurra, ich kann's!
 
Martin Kriegler
 
aus:
    Tick. Die Zeitung von Artis-Tick, Nr. 1 (2. Jänner 1997), pp 9-10
         
"Hurra, ich kann's!". Diese und ähnliche Erfolgsmeldungen hört man als Kurslehrer vor allem bei Kindern immer wieder. Auf die Bitte hin, es noch einmal zu machen, folgen einige Fehlversuche. Die Frage, die sich mir dabei immer wieder stellt, ist, was denn dieser Spruch "Ich kann's" wirklich bedeutet: Ein "zufälliges" Gelingen eines Tricks nach vorhergehenden und nachfolgenden Fehlversuchen oder eine oftmalige Wiederholung desselben.

Gewisse Ereignisse prägen einen Menschen (angeblich) fürs Leben. In diesem Zusammenhang erinnere ich mich immer wieder an eine Person: Prof. Dr. Gerhard Schmidt vom Institut für Sportwissenschaften in Wien. In meiner Zeit als eifrig bemühter, aber nur durchschnittlich begabter Turnstudent stand ich vor der fast unlösbaren Aufgabe, im Fach Boden- und Gerätturnen eine Reihe von Übungen zu bewältigen, die für mich absolut unerreichbar erschienen: Einen Salto vorwärts am Boden ohne Absprunghilfe. Nun, diese Aufgabe war nicht die eigentliche Schwierigkeit, mit ein wenig Training am Minitrampolin oder beim Wasserspringen sollte diese Mutprobe auch am Boden irgendwann gelingen. Das Zusatzkriterium, das er forderte, kostete mich einige Stunden Zeit und Schweiß im Turnsaal: Die Übung gilt nämlich nur dann als gelungen, wenn sie 3 mal hintereinander fehlerfrei ausgeführt werden kann. 2 mal gelungen und beim 3. Mal ein Umfaller bedeutet also: noch einmal von vorne beginnen.

Was hat nun dieses Kriterium mit dem Jonglieren und der Artistik zu tun? Kein Mensch stellt irgendwelche Forderungen nach Leistungen, die in einer Prüfungssituation erfüllt werden müssen. Das ist prinzipiell gut so. Die Offenheit und Freiheit, das spielerische Erfahren von Körpern und Gegenständen ist sicherlich ganz wesentlich für diese Bewegungs- und Kunstformen. Dennoch möchten viele ihr Eigenkönnen ständig verbessern und stehen somit oft vor der Frage: Kann ich das jetzt wirklich oder ist dieser oder jener Trick noch nicht ganz sattelfest. Dazu einige weitere "Definitionen" von Können:

Von 10 Versuchen sollten mind. 8 Versuche gelingen. (Diese Definition habe ich ebenfalls bei von Prof. Schmidt gelernt.)

Bei Nummernjonglagen, die in der Regel nicht lange aufrechterhalten werden können, gibt es eine Vereinbarung, die besagt: Die doppelte Anzahl von Bällen (oder anderen Gegenständen) muß geworfen und wieder gefangen werden: z.B. bei 5 Bällen: Insgesamt 2 Durchgänge, also 10 mal Werfen und wieder fangen bedeutet: Geschafft.

Je nach Kunststück sollte die Übung auch unter erschwerten Bedienungen gelingen: z.B. Einradfahren auf einem unebenen Gelände, aufwärts und abwärts oder vielleicht auch im Zeitunglesen. Dieses Prinzip der Übungssteigerung oder auch Übungsveränderung wird im Sport sehr häufig angewendet nach dem Motto: Was du unter schwierigen Bedingungen gut beherrschst, das kannst du sicherlich erst recht unter normalen Bedingungen. (Wichtig für den auftretenden Künstler! Der ist beim Auftritt tatsächlich in einer schwierigen Situation: Eigene Nervosität, blendendes Licht oder enge Bühne sind nur einige der zusätzlichen Schwierigkeiten.)

Einen Mills Mess mit 3 Bällen zu erlernen, ist ein tolles Gefühl und verdient Respekt und Anerkennung. Wie schaut es allerdings damit aus: aus der Kaskade direkt in den "Mess" übergehen, dann einige Würfe damit machen und danach wieder in die Kaskade zurückgehen? Die sogenannte Übungsverbindung ist eine weitere Forderung der Methodik zum Thema: Festigung der Zielübung.

Ich bin überzeugt, daß es noch weitere Möglichkeiten und Definitionsversuche gibt eine Übung zu beherrschen, diese stellt nur eine Auswahl aus meinen Erfahrungswerten da. Im Sport passiert es dennoch immer wieder, daß es im entscheidenden Moment zu einem Versagen kommt, obwohl die Bewegung im Training tausend Mal und bombensicher beherrscht wurde. "Mein Gott, sie (er) kann es doch, wie konnte das passieren? ...", hört man dann immer wieder. Ich meine, menschliches Versagen kann natürlich passieren (Gott sei Dank sind wir keine Roboter) und das ist natürlich auch das Spannende an jeder Form der Darbietung, gerade im Zirkusbereich: Wird die Übung tatsächlich gelingen?

Übrigens die 3 Saltos habe ich dann tatsächlich nach einigen Anläufen geschafft, an den Augenblick des gestandenen 3. Saltos kann ich mich heute noch gut erinnern. Die Glückshormone haben mich wahrscheinlich in diesem Moment geradezu überflutet. Es ist wunderschön, an sich selbst zu glauben und schlußendlich seine Ziele zu erreichen.
   

Martin Kriegler (Wien), IT-Trainer, Musiker und Jongleur, hat an der Universität Wien eine Ausbildung in der Studienrichtung Sportwissenschaften abgeschlossen. Seine in langjähriger Beschäftigung mit dem Jonglieren und Einradfahren erworbenen Kenntnisse bietet er in zahlreichen Kursen und Workshops an. Nach eigener Aussage betrachtet er es "als große Herausforderung, das Jonglieren so weiterzugeben, dass es vor allem mit viel Freude und kindlicher Neugier in einer spielerischen, leichten Form passiert." Sein im Studium erworbenes Wissen um methodische Übungsreihen bei Bewegungsformen und das zielgerichtete, planmäßige Training in Verbindung mit einer pädagogisch/didaktischen Ausrichtung kommt ihm dabei zugute. Martin Kriegler ist Lehrbeauftragter am Wiener Universitätssportinstitut für Jonglieren.

Alle Rechte verbleiben beim Autor. Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung von Artis-Tick und mit Einverständnis des Autors. Oktober 2001.